Machen Computerspiele dumm?

Seit es sie gibt, sorgen Computer- und Videospiele für heftige Kontroversen. Viele Kinder und Jugendliche sind von ihnen fasziniert, Eltern und Pädagogen tragen jedoch Sorge ob der Langzeitwirkungen. Wissenschaftliche Untersuchungen zeichnen kein einheitliches Bild. Mal werden den Spielen positive, mal negative Effekte auf die geistige Entwicklung zugesprochen. Neueste Ergebnisse lassen jedenfalls die Alarmglocken läuten.

Akio Mori, Spezialist für Gehirnnerven und Professor am Nihon University's College of Humanities and Sciences, berichtet in seinem kürzlich erschienenen Buch "Game-nou-no-kyofu" (in etwa: "Schrecken des Spielerhirns") von einer neurophysiologischen Untersuchung, welcher zu Folge regelmäßiges Videospielen die Gehirnaktivität dauernd herabsetze. Die Konsequenzen seien Konzentrationsverlust, erhöhte Aggressivität und häufigeres Auftreten von ernsthaften Problemen im Umgang mit Mitmenschen.

Wie man den Abstracts eines anlässlich der Konferenz der Society for Neuroscience im November 2002 veröffentlichten Papers entnehmen kann (A. Mori, M. Iwadate, Y. Kita. Influence of Computer Games on Occurence Patterns of Brain Activitiy in the Human Prefrontal Cortex. Washington, DC: Society for Neuroscience, 2002), beobachtete Mori 250 Probanden im Alter von 6 bis 29 Jahren über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Mittels EEG maß er ihre Hirnaktivitäten im Frontallappen sowohl während des Spielens als auch zu anderen Zeitpunkten. Er verglich die Zahl der Alpha- und Beta-Wellen von Leuten, die selten spielten, mäßigen Spielern, die 1-3 Stunden pro Tag 3-4 Tage die Woche mit Videospielen verbrachten, und Hardcore-Gamern, die täglich bis zu 7 Stunden spielten, miteinander.

Dabei stellte er fest, dass bei Nicht-Spielern die Beta-Wellen, welche Aufmerksamkeit bedeuten, stets vorherrschten. Bei gelegentlichen Spielern nahmen die Beta-Wellen ab, sobald diese ein Videospiel einschalteten; in dem Moment, in dem sie mit dem Spielen aufhörten, nahm die Beta-Aktivität aber wieder zu. Anders bei den regelmäßigen Spielern: Die Beta-Wellen fehlten beinahe zur Gänze, selbst wenn diese Personen anderen Tätigkeiten nachgingen. Hingegen nahmen die Alpha-Wellen, die im Ruhezustand vorherrschen, zu. Das Bild entspreche dem einer schweren Demenz.

Die Gehirnaktivität habe ferner in den Regionen, die für die Steuerung der Emotionen und Kreativität zuständig sind - das ist vor allem der präfrontale Cortex -, mit zunehmender Spieldauer abgenommen. Dabei habe es bei regelmäßigen Spielern auch in der Zeit, in der sie nicht in direktem Kontakt mit Videospielen standen, keine wesentliche Verbesserung gegeben.

Mori meint, Video spielen strenge das optische Nervensystem zu sehr an, was Rationalität, Moral und Selbstbeherrschung abträglich sei. Viele Videospiele hätten Flucht- und Todeskampfsituationen zum Inhalt. Diese Inhalte würden sich in den zentralen Gebieten des Gehirns festsetzen, welche für die Organisation von Erinnerungen zuständig sind. Als Folge würden regelmäßige Videospieler im echten Leben auf Gefahrensituationen in ungewöhnlicher Weise reagieren. Er sieht darin eine echte Gefahr für die moralische Integrität der Gesellschaft.

Das Video spielen kann laut Mori in eine echte Sucht ausarten. Diese Sucht werde jedoch in der Kindheit geprägt, in der Zeit, in welcher sich das Nervensystem des Gehirns entwickelt. Wer im Erwachsenenalter mit dem Spielen begonnen habe, könne damit wieder aufhören, wenn sein Wille stark genug sei. Menschen, die seit ihrer Kindheit spielen, seien dazu jedoch nicht im Stande. Mori schlägt daher ein Mindestalter für den Konsum von Videospielen vor.

Freilich ist Moris Untersuchung umstritten. So meint etwa Dennis Schutter, Neurowissenschaftler an der Universität von Utrecht, Niederlande, dass das Fehlen der Beta-Wellen einfach nur Folge von Ermüdung sei, nicht des Spielens an sich.

Andererseits ergab eine frühere Untersuchung Resultate, die in Moris Richtung weisen.

Prof. Ryuta Kawashima, seines Zeichens Experte für "brain imaging" an der Tohuko-Universität, Japan, verglich im Jahre 2001 die Gehirnaktivität von Kindern, die sich mit Nintendo-Spielen beschäftigten, mit solchen, die einfache Rechenaufgaben bewältigten (den so genannten Kraeplin-Test: 30 Minuten lang einziffrige Zahlen miteinander addieren). Die Sichtbarmachung erfolgte mittels einer intravenös verabreichten radioaktiven Substanz sowie durch Magnetresonanztomographie.

Dabei fand Kawashima heraus, dass Computerspiele nur jene Teile des Gehirns stimulierten, die mit optischer Wahrnehmung und Bewegung assoziiert werden. Im Gegensatz dazu stimulierte der Kraeplin-Test Aktivität in beiden Hemisphären des Frontallappens, einer Region, die für Lernen, Merkfähigkeit und Gefühlsempfindung besonders wichtig ist. Er zeigte auch, dass Arithmetik eine höhere Gehirnaktivität hervorrief als Musik hören oder Lesen. Doch am meisten soll lautes Vorlesen den Frontallappen stimuliert haben.

Besorgnis erregend ist dieser Befund besonders deshalb, weil der Frontallappen durch die Produktion des Neurotransmitters Serotonin auch bei der Selbstkontrolle des Verhaltens eine wichtige Rolle spielt. Da die Entwicklung des Frontallappens etwa mit dem 20. Lebensjahr abgeschlossen ist, könnte Computer spielen im Kindesalter viel Schaden anrichten. Kawashima behauptet, der Verlust der Selbstkontrolle, der schon bei früheren Untersuchungen aufgefallen ist, sei nicht Folge der aggressiven Inhalte der Spiele, sondern des Schadens, der dem sich entwickelnden Geist zugefügt werde. Häufige Stimulation des Frontallappens im Kindesalter sei notwendig, um den heranwachsenden Menschen in die Lage zu versetzen, sein Verhalten möglichst gut zu kontrollieren.

Computerspiele würden die Gehirnentwicklung nicht fördern, weil ihr Inhalt vorwiegend aus dem Wiederholen einfacher Handlungen bestehe. Sie würden mehr die Entwicklung von schnellen Reflexen begünstigen als das Ausführen von geistig mehr herausfordernden Aktivitäten, wie etwa Planen oder Analysieren.

Kawashima schlägt vor, die Kinder zu ermutigen, im Freien zu spielen und mit anderen Kindern soviel wie nur möglich zu interagieren und zu kommunizieren. Dies sei notwendig für die Erhaltung der Kreativität und die Entwicklung zu "anständigen" Leuten.

Videospiele können jedoch therapeutisch verwendet werden, wie es Wissenschaftler der NASA am Langley Research Centre in Virginia vorzeigen. Sie benutzen Videospiele in Kombination mit so genannten Biofeedback-Mechanismen, um Kinder zu behandeln, die an Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHD) leiden.

ADHD ist eine Kombination von Aufmerksamkeitsstörung mit überaktivem, impulsivem Verhalten, häufig in Kombination mit Störung des Sozialverhaltens; 3 - 5% der Schulkinder, vor allem Jungen, sind von dieser Krankheit betroffen. Dieser Krankheit liegt nach aktuellem Stand der Forschung eine Störung der Gehirnaktivität zu Grunde: In den Gehirnen von ADHD-Kindern herrschen die langsamen Theta-Wellen vor, während eine verminderte Aktivität von Beta-Wellen vorliegt.

Bislang behandelte man ADHD durch Verhaltenstherapie und pharmakologische Psychostimulation zur Steigerung der Aufmerksamkeit. Die neue Therapiemethode der NASA beruht darauf, dem Kind beizubringen, seine Gehirnaktivität zu kontrollieren. Während das Kind Video spielt, wird die elektrische Aktivität seines Gehirns gemessen und als EEG aufgezeichnet. Die gemessene Gehirnaktivität beeinflusst die Reaktivität des Steuerknüppels: Wenn das Kind die richtige Art von Gehirnwellen produziert, so lässt sich das Spiel leichter steuern. Auf diese Weise wird nach durchschnittlich 40 Sitzungen zu je 45 Minuten das Gehirn des Kindes allmählich dazu konditioniert, seine Aktivität selbst zu regeln.

Diese Technik soll auch eingesetzt werden, um Erwachsenen zu helfen, mit Stress-Situationen fertigzuwerden, und Kampfflugzeug-Piloten beizubringen, im Kampf die Ruhe zu bewahren.

Die Verlängerung der Aufmerksamkeitsspanne und der Beruhigungseffekt bleiben laut NASA-Forscher Alan Pope auch lange nach Ende einer Sitzung bestehen. Konzentrationsspanne, Intelligenzquotient, Lesefähigkeit, Gedächtnis, Verständnis und Verhalten würden beständig verbessert werden.

Angesichts solcher Untersuchungsergebnisse ist man geneigt zu sagen: Videospiele ja, aber nur als Therapie und unter ärztlicher Aufsicht.

Claus D. Volko